In den USA haben mehrere Bundesstaaten einen Radical political Shift in Bezug auf den Umgang mit Marihuana auf die Tagesordnung gesetzt: Im November 2012 beschlossen Colorado und Washington, um November 2016 Kalifornien, Maine, Massachusetts und Nevada eine radikale drogenpolitische Trendwende. Damit wird nun auch der Freizeitkonsum von Marihuana aus der Totalprohibition herausgenommen und in einen regulierten Umgang überführt. Dies ist von in- ternationaler und historischer Tragweite; liegen doch bisher nur wenig Erfahrungen dazu vor, welche sozialen Effekte eine grundsätzliche drogenpolitische Neuregelung anzustoßen vermag. Kein Wunder, dass diese Entwicklungen mit großem Interesse verfolgt werden. Ein Forschungs- aufenthalt am Humboldt Institute for interdisciplinary Marihuana Research (HiiMR) an der Hum- boldt State University in Arcata bot im Herbst 2016 die Chance, zum Thema zu forschen, sich mit praktischen Fragen auseinander zu setzen, die Kalifornier bei der Abstimmung über die Regulie- rung des Freizeitkonsums von Marihuana zu beobachten und sich zu wundern, wie unspektaku- lär das Leben nach einer Befürwortung. Hier ein paar Spots aus einem umfangreichen Bericht, dessen Details nachgelesen werden sollten.
Die Umsetzung von Regulierungsmodellen – ein tiefgreifender sozialer Prozess
Wenngleich das Interesse an diesem Radical political Shift groß ist und Geduld schwer fällt, ist nicht zu übersehen, dass es erstens zu früh ist, Schlussfolgerungen zu potentiellen Effekten einer Regulierung abzuleiten: Im Herbst 2016 konnten ausschließlich die Bundesstaaten Washington und Colorado Daten vorlegen, die zwei Jahre Praxis beleuchten.1 Zweitens mahnt auch dieser Datenschnitt zu Vorsicht, weil die Regulierung Schritt für Schritt in die Praxis überführt wird: In Colorado öffneten beispielsweise die ersten legalen Abgabestellen für Marihuana erst am 01.01.2014, weshalb sich wesentliche Entwicklungen u. a. der Kriminalitätsraten erst mit dieser freien Zugänglichkeit vollziehen konnten. Drittens existieren oft nur unzureichende Daten, die den Status vor einer Regulierung festhalten, so dass ein belastbarer Prä-Post-Vergleich nicht möglich ist. Viertens findet ein systematisches drogenpolitisches Monitoring in den Bundesstaa- ten, das zudem Vergleiche zwischen den unterschiedlich umgesetzten Modellen ermöglichen, nicht statt. Fünftens gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Konsens, welche Daten überhaupt geeignet sind, eine Rückmeldung zu der Passfähigkeit von Regulierungsmodellen zu geben. Für alle Debatten ist sechstens herauszustellen, dass der Radical political Shift von der Totalprohibi- tion zur Regulierung/Legalisierung kein alternierendes Ereignis ist, getan mit einer Abstimmung über neue drogengesetzliche Regelungen! Die tatsächliche Umsetzung eines neuen drogenpolitischen Denkens und Handelns erfolgt in vielen Einzelschritten, mit denen eine neue soziale Praxis entwickelt und durchgesetzt wird. Gerade dieses Prozesshafte muss auch als Chance verstanden werden, sich tastend einer neuen Wirklichkeit nähern und ggf. mit Nachjustierung und Feinkorrekturen auf nicht vorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können (Der Ausgangspunkt für entsprechende Analysen kann für diese amerikanischen Bundesstaaten nur das Jahr 2013 sein. Dies ist insofern wichtig, weil einige Berichte bereits das Jahr 2012 zur Grundlage ihrer Betrachtungen ma- chen - eine Datenwahl, die nicht sachgerecht ist).
Die drogenpolitische Neuregelung setzt auch eine Umstrukturierung der an diesem Prozess beteiligten Institutionen voraus. Die hier handelnden Personen sind oft zu einer grundsätzlichen Änderung ihrer bisherigen Haltungen und Konzepte aufgefordert und müssen sich auch organisatorisch neuen Aufgaben stellen. Wichtige, beteiligte Institutionen müssen zudem erst aufge- baut werden. Dazu kommen schließlich Lern- und Entwicklungsprozesse in den konsumieren- den, aber auch nichtkonsumierenden Bevölkerungsgruppen und sozialen Milieus, in deren Le- ben die Effekte der neuen Drogenpolitik ankommen und sich bewähren, ggf. auch tariert, entwi- ckelt oder berichtigt werden müssen – oft gegen Widerstände von Interessengruppen, die bis dahin von der Prohibition profitierten. Insofern besteht in Expertenkreisen Einigkeit dazu, dass die in den US-amerikanischen Bundesstaaten bisher überschaubaren Zeiträume für die nötigen umfassenden sozialen Veränderungen zu kurz sind, um belastbare Beurteilungen vornehmen zu können.